Caroline Streck in der Nahaufnahme

Caroline Streck (*1986 in Kempen) lebt in Gießen und hat ihr Atelier in Frankfurt. Die Malerin studierte 2006 bis 2011 Freie Kunst an der Hochschule der bildenden Künste Saarbrücken und 2015 bis 2016 MA Fine Arts am Chelsea College of Arts, London.

 

KUNST DIGITAL: „Nahaufnahme“ Caroline Streck Eine Interview-Reihe mit Künstler*innen der Stadtgalerie Saarbrücken in Zusammenarbeit mit dem Regionalverband Saarbrücken.
Caroline Streck im Interview mit Katharina Ritter, M. A.

 

Wo bist Du gerade? Wie meisterst Du die Krise?

In einer sehr privilegierten Situation, denn mich persönlich hat die Krise nicht so hart getroffen. Und zumindest zu Beginn hat sie mir sogar viel Luxus wie Freiräume und Langsamkeit gebracht. Meine Sorgen sind daher auch nicht persönlicher Natur, sondern beziehen sich auf einige Entwicklungen in jüngster Zeit. Gesellschaftlich erleben wir einen Transformationsprozess, einen Übergang in eine Post-Corona-Gesellschaft. Dabei gibt es sehr viel Ungewissheit und Planlosigkeit und leider führt dies zu Ängsten und Unsicherheiten, Dinge die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eine große Herausforderung darstellen. Hygienedemos zeigen eine völlig fehlgeleitete Form von Freiheitsdenken und bilden einen Nährboden beziehungsweise bieten Fahrwasser für absurde Welterklärungstheorien. Und das Schlimme ist, sie lenken den Fokus der Aufmerksamkeit weg von wirklich drängenden Fragen wie zum Beispiel der angemessenen Bezahlung und Arbeitsbedingungen von Pflegepersonal oder Erzieher*innen. Vieles muss nun umgedacht, neu verhandelt werden, darin kann auch eine große Chance liegen. Viele Kunstschaffende beispielsweise stehen vor der Frage, wie man künstlerische Arbeiten nun zeigen kann. Als analoge Malerin bin ich dem materiellen und physischem Raum sehr verbunden, die digitale Präsentation meiner Arbeit kann immer nur eine minimale Idee vermitteln. Während des Lockdowns habe ich angefangen, wieder verstärkt kleinere Formate zu Hause zu machen, und da physische Ausstellungen nicht möglich waren, habe ich mit vielen Kolleg*innen per Video gesprochen und wir haben uns gegenseitig Arbeiten gezeigt. Eine gute Form der Auseinandersetzung, die ich auch künftig beibehalten möchte.

Die Post-Corona-Gesellschaft wird sicherlich physisch kontaktloser und distanzierter aussehen. Das halb abgedeckte Gesicht, die Abstandsregelungen, die beschleunigte Verlegung von Kommunikation in den digitalen Raum, all dies wird unseren Umgang miteinander wesentlich beeinflussen.

 

Was treibt dich an? Was ist für dich relevant am künstlerischen Prozess?

Meine Arbeiten entstehen vor allem aus einer Beobachtung heraus. Malerei nutze ich zur Auseinandersetzung mit den Systematiken und Strukturen, die unsere Umwelt bestimmen und unser Denken prägen. Diesen trete ich entgegen, mit meinem eigenen körperlichen Rhythmus, finde mich in ihnen wieder oder fühle mich ihnen ausgesetzt. Allgegenwärtige geometrische Grundformen bilden Anlass und Endpunkt eines rhythmisierten Malvorgangs, der in schichtweisen Überlagerungen die Formen de- und rekonstruiert. Gegen- und Begriffspaare wie Form und Farbigkeit, Statik und Bewegung, Durchlässigkeit und Opazität, Innerlichkeit und Äusserlichkeit prägen dabei die malerischen Fragestellungen. Die finale Form einer Malerei ist das Ergebnis prozessualer Gleichzeitigkeiten und Gegensätze, intermedialer Auseinandersetzung sowie theoretischer und praktischer Forschung. Malerei entsteht auf dauerhaften Bildträgern wie Leinwand und Papier oder direkt im Kontext von Architektur als Wandbild. Ebenso arbeite ich in Form von ortsspezifischen Installationen mit Stoff und Papier. Diese entstehen erst an dem jeweiligen Ort und sind temporär, nehmen Bezug auf die Räumlichkeit und können nach dem Abbau nicht rekonstruiert werden, darin liegt für mich ein großer Reiz.

 

Hast Du eine Lieblingsarbeit von dir, oder ist es immer die aktuell entstehende?

Natürlich brenne ich gerade aktuell für die Arbeiten im Prozess, oft arbeite ich parallel an mehreren, bin durch sie aufgeregt und nervös, denn ihre Existenz bildet sich noch heraus, erst müssen noch viele Fehler gemacht und verarbeitet, viel Wissen über Bord geworfen, viel Ungeplantes offengelegt werden, sie halten mich in Bewegung.


Siehst Du Künstler*innen in der Pflicht, sich gesellschaftlich zu engagieren? Wie hoch ist der Anteil von Kunst an gesellschaftlichen Prozessen?

Gesellschaftliches Engagement ist für jede*n Bürger*In wichtig, egal ob Künstler*In oder nicht und es kann natürlich sehr unterschiedliche Formen haben. Ich denke, es ist notwenig für Künstler*Innen, sich mit aktuellem gesellschaftspolitischen Zeitgeschehen intensiv zu befassen. Diese Auseinandersetzung schlägt sich in den Arbeiten auf unterschiedlich direkte oder indirekte Weise nieder und diese Diversität künstlerischer Arbeitsfelder erachte ich als sehr wichtig. Es gibt Künstler*Innen, die sich gesellschaftspolitischen Fragen in sehr direkter Weise widmen, politisches Engagement bis hin zu Aktivismus praktizieren oder politische Themen zu direkten Inhalten machen, ich denke hier zum Beispiel an das Zentrum für politische Schönheit“.

Gleichzeitig lässt sich meines Erachtens aber auch beispielsweise Miriam Cahns Malerei als gesellschaftspolitisch relevant bezeichnen, weil sie mir Gefühle und Sichtweisen vermittelt, die in indirekter Weise aus gesellschaftlichem Geschehen resultieren.

 

Was ist die höchste Dringlichkeit in deiner Arbeit? Wie entsteht für dich Bedeutung?

Im Rahmen meiner Recherche befasse ich mich viel mit Lektüre, die gesellschaftsstrukturelle Fragen beleuchtet, beispielsweise mit Mark Fisher und seiner Schrift zum Kapitalistischen Realismus sowie mit Henri Levebvres Buch „Rhythmanalysis“ oder auch mit genderpolitischen Texten von Mary Beard. In meiner Praxis wiederum geht es dann viel um Entgrenzungen, um das Nicht-Wissen und um Widersprüche, in denen ich mich als Mensch befinde. Vorhandenes Wissen tritt in Kontakt mit Gesehenem, Gelesenem oder Imaginiertem und sucht eine neue Form. Wenn das Gefühl, das dabei entsteht als Resultat einer gesellschaftlichen Stimmung gelesen werden kann und Ausdruck in der Malerei findet, so geht dies in die Richtung meiner Auffassung davon, wie ich Kunst als Sprache in unserer Gesellschaft betrachte –  wie sie Dinge und Realitäten aufgreift und sichtbar macht, die im Unbewussten, Verborgenen liegen. Also Im besten Fall die Betrachter ebenfalls in geistig-emotionale Denkbewegung bringt - dabei geht es vor allem um die transformative Kraft von Bewusstsein - darin liegt für mich ihre gesellschaftliche Bedeutung.

 

Könntest Du dir vorstellen, öffentliche Prozesse beratend/ künstlerisch zu begleiten?

Auf jeden Fall könnte ich mir das vorstellen. Kunst findet ja oft in abgesteckten, definierten Bereichen statt, es existieren feste (Denk-)Kategorien. Diese durch eine stärkere Vermischung mit anderen öffentlichen Bereichen aufzubrechen, halte ich für sinnvoll. Als Beispiel fällt mir das Projekt der Anti-Humboldt-Box in Berlin ein: Ein Koffer als mobiles Ausstellungsformat, das die Gruppen artefakte//anti-humboldt und AFROTAK ins Leben gerufen haben, um sich gegen den Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldt-Forum einzusetzen. An dieser Schaltstelle zwischen Kunst und öffentlicher Debatte zu operieren halte ich für ein probates Vorgehen, auch wenn der Impuls in diesem Fall allein von den Gruppen von außen ausging, dennoch wurde die Debatte dadurch erweitert und breitere Kritik ermöglicht.

 

Welchen Bezug hast Du zur Region Saar-Lor-Lux? Wieso hast Du im Saarland studiert, wieso hast Du das Saarland verlassen?

Das Saarland habe ich als Studienort kennengelernt und eigentlich war die Wahl eher zufällig, in der Hauptsache wollte ich in eine neue, mir völlig unbekannte Region ziehen und ich hatte damals auch noch keine sehr konkrete Vorstellung davon, wohin es studientechnisch geht und habe daher zunächst ein Lehramtsstudium begonnen, bin dann zur Freien Kunst gewechselt. Die Atmosphäre an der Hochschule der Bildenden Künste (HBK Saar) mochte ich von Anfang an sehr und auch die Stadt ist mir schnell ans Herz gewachsen. Besonders stellte die Außenstelle der HBK auf dem eindrücklichen Gelände der Völklinger Hütte einen wichtigen Anziehungspunkt für mich dar, dort hatte ich lange Zeit meinen Arbeitsplatz, konnte mich mit anderen Kommiliton*Innen austauschen und es gab eine gute Balance zwischen Aktionen und Konzentration im Atelier.

Nach meinem Studienabschluss und dem Meisterschülerjahr hatte ich den starken Drang weitere Erfahrungen an anderen Orten zu sammeln. Dies ergab sich zunächst über Möglichkeiten durch Aufenthaltsstipendien, danach ging es recht planlos ins Ausland, nach Istanbul, und später mit mehr Plan und Stipendium nach London für ein Masterstudium. Mittlerweile arbeite ich in Frankfurt, lebe in Gießen - die zentrale Lage und die vielen kulturellen Möglichkeiten dieser Region waren dabei ausschlaggebend für diese Entscheidung. Frankfurt verfügt über zum Beispiel über einige große Atelierhauskomplexe (Basis, Atelier Frankfurt) und Atelierförderprogramme, welche das arbeiten dort sehr attraktiv machen und weswegen sich auch immer wieder neue Künstler ansiedeln.

 

Welche Institutionen, Künstler*innen, Gruppen oder Kunst im öffentlichen Raum schätzt Du besonders im Saarland?

Den Platz des unsichtbaren Mahnmalsvor dem Saarbrücker Schloss empfinde ich als wichtiges Kunstwerk im öffentlichen Raum, das mich immer wieder sehr berührt. Das Konzept hinter dieser Intervention von Jochen Gerz und Studierenden aus dem Jahr 1993 besteht aus Pflastersteinen, in welche die Namen jüdischer Friedhöfe von vor 1933 eingemeißelt und anschließend mit dem Namen nach unten wieder eingesetzt wurden. Die Arbeit regt ein Nachdenken darüber an, wie man mit Mahnmalen oder auch Denkmälern umgeht, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist und wie sehr die Verantwortung für diese Prozesse letztendlich bei jedem Menschen persönlich liegt.

 

Wie bestreitest Du deinen Lebensunterhalt?

Seit etwa einem Jahr unterrichte ich im Rahmen einer künstlerischen Mitarbeit an der Kunsthochschule Kassel. Dies sichert meinen Lebensunterhalt und bringt dadurch den Luxus, derzeit nicht allein auf den Verkauf meiner Kunst angewiesen zu sein - und es macht mir zudem sehr viel Freude!