Christina Kubisch
08.02.2019 – 12.05.2019
Eine quietschende Tür, die mit einem dumpfen Schlag ins Schloss fällt. Dann übereinander gelagertes, gedehntes Knarren – ein verspieltes Ineinander knarzender Scharniere, dunkles Brummen, Rattern, das sich als Motorradknattern zum Crescendo steigert, um in die musikalische Komposition eines Akkordeons überzugleiten. Oder ein akustischer Raum voller Vogelstimmen, Waldgeräusche – quaken, zirpen, zwitschern, flirren, piepen, trillern und pfeifen – scheinbar natürliche Laute, die jedoch so mit elektronischen Geräuschen durchsetzt sind, dass sich über kurz oder lang die Erkenntnis einstellt, dieses Klangspektrum könnte elektroakustisch erzeugt sein.
Es ist die Welt der Klangkünstlerin Christina Kubisch (*1948 in Bremen), die schon Ende der 1970er Jahre mit elektromagnetischer Induktion experimentierte und mittels Telefonverstärkern ein System für ihre Klanginstallationen entwickelte, in dem die Partizipation der Besucher eine entscheidende Rolle spielte. Schon diesen frühen Arbeiten lag die Idee zugrunde, Dinge hörbar zu machen, die außerhalb unserer normalen Wahrnehmung liegen. Dafür ließ Kubisch Räume entstehen, in denen sich das Publikum mit kabellosen Hörwürfeln frei bewegen konnte, um eine jeweils eigene Version der Klangspektren wahrzunehmen, die von den Kabelinstallationen im Raum aktiviert wurden. Jeder schuf und hörte so für sich eine eigene Komposition. Der Künstlerin kam es darauf an, eine neue Aufmerksamkeit für natürliche Geräusche zu schaffen, die wir erst dann bewusst wahrnehmen, wenn sie verfremdet erscheinen, wie im „Vogelbaum“ (1987), den Kubisch bereits 1996 in ihrer ersten Saarbrücker Einzelausstellung in der Stadtgalerie präsentierte.
Ein weiteres Kernthema, das ihre Arbeit wie ein roter Faden durchzieht, ist die Stille. Dabei geht es der Künstlerin darum, in einem ungestörten Environment subtile Klänge und Töne erfahrbar zu machen und auch eine gedankliche Auseinandersetzung mit der Idee der Stille anzustoßen, wie in den Sonagrammen von „Analyzing Silence“. Eine weitere zentrale Werkserie, die besonders im Fokus unserer Ausstellung steht, sind die sogenannten „Electrical Walks“ – Stadtspaziergänge, auf denen wir den Geräuschen elektromagnetischer Stromfelder begegnen, die im Stadtraum omnipräsent und aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken sind. Seit 2003 hat die Künstlerin weltweit immer wieder neue „Electrical Walks“ entwickelt und dabei die Veränderungen verfolgt, die sich durch verstärkte Digitalisierung und Elektrifizierung in unserer Welt ereignen. Dabei stoßen wir auf eine enorme Bandbreite an elektroakustischen Geräuschen, die Kubisch über hochsensible, kabellose Kopfhörer für uns erfahrbar macht: Smartphones, Lichtschranken, WLAN-Netze, Straßenbahnen, Bankautomaten, Überwachungskameras, Werbeleuchtkästen, Antennen, Kabelleitungen und Stromkästen. Als unsichtbares und (eigentlich) unhörbares Netz überziehen sie die Städte, wobei jeder Ort sein eigenes, individuelles akustisches Profil aufweist. Das macht Kubisch in ihrer neuen Installation „Electrical Cities“ anschaulich und für die Besucher in Saarbrücken in einem realen „Electrical Walk“ vor Ort erfahrbar.
Wie sehr sich diese elektronische Parallelwelt in den vergangenen zehn Jahren verändert hat, und welche Konsequenzen sich daraus für uns Menschen und den Zustand des Planeten ergeben, offenbart der lange Zeitraum, über den die Künstlerin ihre „Electrical Walks“ inzwischen entwickelt hat. Es sind die neuen Techniken und die riesigen Dimensionen der beleuchteten Werbe-Screens und LED-Bildschirme, die vor allem in den asiatischen Millionenstädten tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen. Kubischs jüngste Dokumentation der „Electrical Walks“ in Bangkok wird diese aktuellen Tendenzen auch in unserer Ausstellung beleuchten.
Diese bei den Stadtspaziergängen immer wieder neu entdeckten Klänge überträgt die Künstlerin seit 2011 auch in den Ausstellungsraum, indem sie sogenannte „Clouds“ aus farbigen Kabeln zu Knäueln verbindet oder aus herabhängenden Kabeln geformte Zeichnungen im Raum entstehen lässt, durch die das Publikum hindurchgehen kann. Auch sie basieren auf dem Prinzip der magnetischen Induktion, wobei Kubisch bereits eingespeiste Geräusche mit Klangsequenzen mischt, die durch zufällig im Raum befindliche Stromfelder erweitert werden. Diese Klangräume bestehen aus Tönen und Geräuschen, die natürlichen Klangphänomenen ähneln, ohne diese zu imitieren. Wichtig ist der Künstlerin dabei auch die Verbindung von Klangsequenzen und ästhetischen Installationselementen (Kabelarrangements, UV-Licht-Installationen) zu einem poetischen Gesamtkunstwerk. In manchen Fällen nutzt Kubisch vergessene oder verlorengegangene Geräusche, wie das Quietschen alter Klostertüren oder die Signaltöne ausrangierter Schachtglocken. Auch sie werden in der Stadtgalerie zu hören sein, ebenso wie die Reinszenierung des Lichtraums „Stillleben, Landschaften und Porträts – neunzehn Bilder für einen Raum“ aus der Sammlung des Saarlandmuseums.
„Töne sind für Christina Kubisch der Schlüssel zur Öffnung der Sinne, zum Entdecken einer Welt in der Welt und zum Entwickeln der eigenen Sensibilität – vielleicht im Hinblick auf eigene, neue Anwendungsmöglichkeiten in der zukünftigen Arbeit des Zuhörens.“ (Antje von Graevenitz)
Ein besonderes Highlight präsentiert die Stadtgalerie am 27. April mit der audio-visuellen Performance Spectral Cities, bei der Christina Kubisch als Musikerin und Performerin (gemeinsam mit Peter Kutin & Florian Kindlinger) zu erleben sein wird. Einen weiteren Höhepunkt dieser Ausstellung präsentiert Kubisch zur Finissage am 12. Mai mit ihrem Vortrag „Magnetic Attacks – 40 Jahre elektromagnetische Untersuchungen“. Anschließend wird sie, unterstützt durch die Schlagzeugerin Katharina Ernst, ihre Komposition „Undercurrents 2018“ präsentieren.